29.6.

Nach einem Jahr (teilweise) in Berlin verändern sich die Arbeiten von Laura Valor und Tomas Mayo doch sehr. Unglaublich gute Objekte, gemeinschaftlich erarbeitet, allen voran diese schwarze Gummimatten-Faltung "Melting Point", erst jeder für sich, dann zusammengebaut. Auch die "Wandmalerei", auf Folie gedrucktes Innenleben eines Granatapfels in cut-out Technik ist einfach schön. Dazu sehen wir eine extrem feine, kaum sichtbare Zeichnungsserie die wie sehr helle Fotografien wirken. vom Inhalierspraygerät bis zum 6er Eierkarton. Alles sehr luftig dezent gehangen ergibt eine tolle Ausstellung im GrimMuseum!
Eine andere starke Ausstellung beginnt heute bei Veneklasen-Werner. Besonders Klaus Jörres überzeugt mit seiner OpArt ähnlichen Malerei, superstark. Auch Nico Vascellari, gerade in Venedig beim "Pinchuk Future Artpreis" entdeckt, begeistert mit einer flackernden Lichtinstallation, projezierte Dias seiner abstrakten stark farbigen Collagen, dazu Geräusche von einem über Äste laufenden Magnetband welche ebenfalls Schatten werfen. Harald Ancart malt mit Feuer auf der Wand.

23. 6.

Begeisterung pur! Endlich wieder einmal wunderbare, witzige, ironische Arbeiten von Robert Barta im GrimMuseum. Sein Hula-Hoop tanzender Kaktus ist auch von der Strasse zu sehen und wie ich später feststellen konnte ein Publikumsmagnet. Ebenso verrückt sein Gästebuch - auf vibrierendem Sockel, viel Spass sich da einzutragen! Wurde auch ausgiebig benutzt, bereits am zweiten Tag musste es ausgetauscht werden weil es voll geschrieben und gezeichnet war.

17. 6.

48-Std. Neukölln... und ich mach wieder mal mit - eine Ausstellung in der Mainzerstr 42. Gereizt hat mich das oberbescheuerte, völlig unangebrachte Motto "Luxus Neukölln" - äh, wie bitte? wat'n für'n Luxus? Überhöhte Miete an neue Raubritter oder eine Heuschrecke zu bezahlen? In Dreck, Müll, sozialem Elend und Unzulänglichkeit zu waten? Und dass die örtliche Politik zu blöde und unwillig ist dagegen etwas anderes zu tun - als auszugrenzen? Oder sind es doch all die schicken neuen Lädchen mit ihrem kreativ-putzig-naivem Output und Bars, mit den vielen hippen internationalen Wohngästen? Allerdings wäre "Kloake Neukölln" ebenso übertrieben.
Ich gehe halb-dokumentarisch mit Fotografie und Fundstücken diesen Fragen nach, auf der Suche nach "Neukölln-Absurdistan". Insgesamt eine Steilvorlage...
Und die Gentrifizierer der Quartierbüros suhlen sich (wohlbezahlt) im Licht der von Künstlern (gratis) bereitgestellten Werken - ohne (meist) diese überhaupt in den Flyern zu nennen!!! Eine solche ekelhafte Arroganz habe ich in 30 Jahren Kunstbesuchen noch nie erlebt!


vorher - nachher          Garten im Maybachufer 8

Das Team aus dem Büro-Laden ebendort inszeniert dagegen ein wundervolles Projekt am Sarassteig - einen Wildbach im Grünen. Welch grandiose Umnutzung eines "typischen" Neuköllner Müll-otops in eine Oase. Wohlauf und voran ihr (zum Glück) unbelehrbaren Utopisten!

Viel sehen konnte ich nicht, da in der eigenen Ausstellung gebunden, allerdings war das Feedback auf Nachfrage "soviel Kinderkram, belangloses substanzloses Zeug - endlich mal was engagiertes, greifbares" usw.

7. 6.

Die sogenannte "Leistungschau- based in berlin" öffnet heute seine Pforten im ehemaligen Atelierhaus im Monbijoupark - hoffentlich mehr als eine "Kumpels für Kumpels-Schau", dazu wären die enormen 1.5 Mill.€ tatsächlich zu schade, auch wenn es sicher viel Spass macht so viel Geld zu verplempern! Leider lässt die völlig schwammige Pressekonferenz, ohne wirkliches Konzept vorzustellen, im Februar aber genau dies vermuten.... Was sollen Sprüche wie "Künstler haben heute kein Atelier mehr und ihre Arbeiten auf einem UBS-Stick im Cafe dabei"? Oder "Facebook ist die neue Möglichkeit Kunst zu vertreiben...."? Doch nicht viel mehr als dümmliche Yuppiesprüche. Aber sehen wir trotzdem unvoreingenommen hin - die Kunst hat dies allemal verdient.

Die Ernüchterung folgt beim Betrachten, erschreckend wie beliebig und uninspiriert und uninspirierend die Arbeiten sind! Von wirklichem Kitsch, bemühtem naiven Recycling und dilettantisch Nachgemachtem, dokumentarischen Beobachtungen ist man umgeben - so langweilig kann Kunst und Kunst-schaffen nun wirklich nicht sein. Ein regelrechter Schock nach der Woche in Venedig!
Natürlich gibt es vereinzelt auch tolle starke Werke, Ariel Schlesingers Gasflaschen - mit kleinen Flämmchen-Bomben-Mini wurde leider wieder entfernt - zu gefährlich explosiv, dabei das beste Statement zur Situation der Berliner Kunstszene! Auch Mariechen Danz mit ihrer Musik-Performance inmitten der dabei genutzten Objekte überzeugt. Sehr stark auch die videale Beobachtung Berliner Lebens, fast touristisch, anhand Flaschensammlern von Nina Könnemann. Ebenfalls beobachtend die Videoaufnahme eines sehr auffälligen exzentrischen Tänzers auf der (anti-love) Fuckparade, welches nach dessen gerichtlichem Widerspruch eigentlich nicht mehr öffentlich gezeigt werden darf und daraufhin im web in hundertfacher Variation nachgespielt wurde. Eigentlich ein Zeitdokument, bestechend, führt uns vor was ist und wie Kommunikation und Interaktion heute funktioniert - aber Kunst?? In jedem Fall interessant, von M. Fritsch. Der sich selbst als "Alibi-Berliner" (Teilnehmer) bezeichnende Rocco Berger lässt Altöl über eine vom Ventilator bewegte Plastikfolie rinnen und somit zeichnen. Eine sehr gute Arbeit von David Adamo - ein Nutzholzbalken wird zum Baumstamm zurück geschnitzt - gibt es in den KW über 2 Etagen zu sehen. Eine schöne Idee auch von Kajsa Dahlberg die aus vielen Bibleotheken die gelben Reclamausgaben eines Virginia Woolf Romans bzw. die von den Lesern hinterlassenen Randnotizen zusammenträgt und das Ganze neu drucken lässt.
Auf das Konzert von Hush Hush / Christopher Kline am 9. 7. einem inzwischen im Berliner "Underground" allgegenwärtigen New Yorker Kunst-Chamäleon bin ich gespannt.
Eine wirklich gute und lobenswerte Idee war es verschiedene Projekträume, Autocenter, After the Butcher, PM einzubeziehen um selbsttätig Ausstellungen zu präsentieren! Mehr davon - und es wäre ein wesentlich interessanterer und wirklich relevanter Überblick auf die derzeitige Situation der Kunst in Berlin entstanden. Wat hättn die sich jefreut über den Jeldsegen! - und was die daraus hätten machen können...
Die wohl witzig gemeinte Beobachtung in der Partieszene eines Besoffenen oder Drogi der vom Klo rutscht ist dann doch eher peinlich als aufschlussreich (Ilya Lipkin). Eine Anbiederung auch die Foto-Ahnengalerie von Wowereits Konkurrenten (Jay Chung+T. Maeda). Das sehr repräsentative Grossfoto von Clegg und Guttman in der Etage von after the butcher reagiert auf den "Auftraggeber" dagegen auf entlarvende Weise.
Von vielen Teilnehmern werden leider sehr dürftige Arbeiten gezeigt. Was soll man davon halten wenn die (frühe) Faszination für Berlin von Filmplakaten des "wir Kinder vom Bahnhof Zoo" stammt... Jeremy Shaw. Oder von ästhetischen Doppelbelichtungen, Nebenprodukt von Aufnahmen im Atelier und Garten Demands, (Heji Shin). In der Berlinischen Galerie nur die Arbeit eines Künstlers - warum so weit verteilt? Die Installation und das Video von Simon Fujiwara erscheint wie ein Kalauer über kulturelle Vorurteile...

Der eigentliche Skandal dieser doch etwas arg schwächlichen Ausstellung liegt allerdings im willkürlichen Handeln der Politik, in 5 Jahre Totalversagen des "Kultur"-Senators Wowereit der meint nach guter alter Gutsherrenart wenigstens einmal wohltuend Geld zu verschleudern! Eine Partyidee gemeinsam mit dem allgegenwärtigen Kunstmobber Biesenbach. BerlinBiennale im Jahresrhythmus. Er hätte nur ab und zu mal in die Galerien, Museen und vor allem Projekträume gehen sollen anstatt nur selten mal zu den VIP-Cocktails, um etwas zur Lage der Kunst, der Künstler, Galeristen und Institutionen zu erfahren und begreifen. Aber das würde Interesse, Engagement und Arbeit voraussetzen.
Ein anderer Skandal ist es dass zugesagte Atelierbesuche nach dem Unterzeichnen des Protestbriefes "haben und brauchen" erklärungslos abgesagt wurden! Eine Auseinandersetzung oder Protest - diktatorisch unerwünscht! Ganz zu schweigen wie mit der wirklich örtlich ansässigen Künstlerszene umgegangen wurde - erst ein pro-forma Aufruf an alle, dann die völlige Ignorierung. Dafür tauchen Leute auf nach dem Motto "ich war auch mal in Berlin" und bin in einer befreundeten Galerie vertreten. Alles aufstrebende Kunst-Markt Partizipanten mit grossem Netzwerk und Galerien - international gehyped - wozu also noch derartige Summen hinterherwerfen wenn die lokale Szene darbt? Und leider zu oft mit schwachen Arbeiten aus deren Oeuvre.
Da rutscht einem doch ganz unbeschwert ein Luxusschweine verpisst euch - keiner vermisst euch über die Lippen.


TOP

31.5. - 5.6.11

Vorbesichtigungswoche der Biennale Venedig (4. Juni bis 27. November) mit all seinen gefühlt ca. 200 Nebenausstellungen und Events und Parties. Das Klassentreffen der internationalen Kunstszene.

Die Löwen wurden am 4. Juni verteilt. Für ihr Lebenswerk erhielten Sturtevant und Franz West einen Goldenen Löwen.
Zum besten Pavillon wurde der Deutsche mit der posthumen, für meinen Geschmack viel zu sakral anmutenden, aber starken Inszenierung über Christof Schlingensief von S. Gaensheimer erklärt.
Bester Künstler der kuratierten Ausstellung Christian Marclay und beste Nachwuchskünstlerin Haroon Mirza.
Besondere Erwähnungen erhielten Klara Lidén und der Litauische Pavillon mit Darius Miksys.
Diese Juryentscheidungen sind für mich zum Teil nicht wirklich nachvollziehbar. In den Begründungen wird von spartenübergreifendem Arbeiten gesprochen und die Teilnahme von John Waters dürfte die Vorliebe für Film erklären.
Dabei gab es wirklich sehr starke, sehr viel interessantere Pavillons - Schweiz mit Hirschhorn, Island mit Castro + Òlafsson, Boltanski im Französischen, Korea mit Lee Youngbaek, Francisco Tropa im Portugiesischen, oder Tim Davies bei Wales.

Die kuratierte zentrale Ausstellung der diesjährigen Kuratorin Bice Curiger lautet wie eine meiner Haupt-Werkserie "ILLUMINATION". Aber da ich keinen Grossgaleristen hinter mir habe der die Werke marktgerecht verkloppt, sind diese natürlich auch nicht vertreten... Denn, auffällig wie nie zuvor, ist die Biennale nicht nur eine kuratierte Ausstellung zur Lage der Kunst, sondern in aller erster Linie eine erstklassige Verkaufsmesse, freier und mächtiger als die Messe Basel und darüberhinaus vor allem besser und grosszügiger gehangen. Nicht ein Künstler in der Show der nicht von einem der weltweit führenden Galerien vertreten ist! Alles nur Show - wie überall, in allen Bereichen, mit viel Theoriegedöns aussenrum!
Bice Couriger spricht vom Sichtbarmachen und Beleuchten der aktuellen internationalen Kunst-Produktion, vom ins Licht setzen aktueller Fragen in der Kunst - Fragen nach "Identität" und "kulturellem Erbe", um neue Formen von Gemeinschaft in einer globalisierten Welt, es geht um das gegenwärtig häufig angewandte prozesshafte Arbeiten und kommunikative Aspekte. Es geht auch um das "Licht erkennender Erfahrungen" in der heutigen reiz-und bildüberfluteten Umwelt die "unseren Realitätssinn permanent (über-)fordert", um eine "Erhellung des Denkens", um intuitive Erkenntnis mittels Kunst. Es geht um das hehre grosse Ziel der "Erleuchtung" - jedenfalls nicht um Licht und Wirkung an und für sich, oder gar um festliche Illumination. Auch wenn sich durch den zentralen Ausgangspunkt - die Malerei Tintorettos sehr wohl die Idee des Lichts in der Kunst geradezu aufdrängt und auch thematisiert wird, ebenso wie bei James Turells grandiosem Lichtraum, scheint der Titel und die Ausstellung nicht schlüssig und stringent zu sein, springt nach Belieben in die doch sehr verschiedenen Bedeutungsebenen und wird dadurch insgesamt doch sehr schwächlich, leider.
Im Padiglione Central im Giardini Tintoretto mit 3 Bildern an den Anfang zu stellen, u.a. seine Version des "Letzten Abendmahls" aus der San Giorgio Maggiore, ist weniger eine Hommage an Venedig wo er in Kirchen und Scuolas allgegenwärtig zu sein scheint, sondern die Frage nach Veränderung und revolutionärem Aufbruch in der Kunst, wie sie auch der Meister der Renaissance betrieben hat. Phantastisch - aber auch gewagt diesem im selben Raum die wahrlich extreme Position der "unsichtbaren Malerei" mit Wasser, Tränen und Dampf auf weissem Papier von Bruno Jakob gegenüberzustellen und unseren Kunstbegriff herauszufordern. Diese optische Annäherung an das Nichts ermöglicht gedankliche Expansionen. Kleine leicht zu übersehende Arbeiten.
Darum gruppieren sich Arbeiten aller Art, vieles an den Haaren herbeigezogenes, was sich am Kunstmarkt gerade als Renner erweist, aber auch wunderbar das Thema umspielende, die es lohnt zu erwähnen. Gleich nach dem Eingang sehen wir ein wundervolles kurzes Lichtspiel, ein Video (1978!) von Jack Goldstein das die Silhouette eines Turmspringers in leuchtenden, blendenden Lichterkaskaden, Lampenfeldern vor fast schwarzem Grund zeigt - eine der schönsten Arbeiten der kuratierten Ausstellung. In einem anderen Raum findet man seine Malerei die auf Fotografien von Naturspektakeln wie Nordlichter oder Vulkanausbrüchen basiert. Ihn interessierte sehr früh die Verwendung von (bekannten) Medienbildern. Pipilotti Rist zeigt eine Serie von Videocollagen auf Monitoren, alte venezianische Veduten kombiniert mit Szenen aus der Hausarbeit, insbesonders vom Kochen und alles in ihren quietschbunten psychedelischen Farbstürmen. Licht als Medium einerseits, aber auch die Verschränkung von alltäglichem Handeln und Kunst.
Mit Venedig verbindet man auch die tausenden überall herumsitzenden Tauben von Maurizio Cattelan, selbst knapp über Polkes "Polizeischwein" sitzen sie... eine humorvolle Arbeit die sich auf das dortige Taubenquartier zwischen den Biennalen bezieht, das er bei seiner Recherche 1997 entdeckte. Ebenfalls sehr humorvoll beschäftigt sich die Fotoserie von Luigi Ghirri mit Stadt und absurden Szenen, z.B. rotes Auto vor Werbetafel mit rotem Auto. Im selben Raum starke Arbeiten von Gabriel Kuri, eine Variation der "endlosen Säule" von Brancusi aus aufeinander gestapelten Papierkörben oder Sockenbündel zwischen zwei Felsen geklemmt. Eine ungeheuer starke Arbeit auch von Amalia Pica die zwei komplimentäre Farbenkreise sich überschneiden lässt, zu weiss vereint, ein mathematisches Erklärungsmodell das während der argentinischen Diktatur aus allen Schulbüchern verbannt wurde weil es auch sozialpolitische Relevanz hatte. Starke politische Implikation und Emotionen auch in Omer Fasts Film - Interview oder psychologische Sitzung, Erzählungen eines US-amerikanischen (ex-)Soldaten über die anonymisierte Kriegsführung mittels Drohnen und deren Kamerabildern, Videospiel gerechte Arbeit, die traumatisiert und somit wieder personifiziert ist. Heftige Emotionen löst auch die Fotografie-Text-Serie von David Goldblatt aus, der Täter an den Orten ihrer schwerster Straftaten portraitiert und sie dazu und zu ihrem Leben sprechen lässt. Die Bilder von Sigmar Polke "Strahlen sehen", mehrschichtige Collagen aus alten Personenzeichnungen und psychedelischem Farbenrausch, beschäftigen sich mit Licht Farben und dem Erkennen auf sehr ansprechende Weise, während sein "Polizeischwein" uns an seinen Beitrag im deutschen Pavillon 1986 erinnert.
Enttäuscht haben mich die Beiträge bekannter KünstlerInnen von Cindy Sherman bis Fischli+Weiss, langweilig das Neon-Vordach von Philippe Pareno oder die Laserraumzeichnung von Gianni Colombo, ein krampfhafter Auswahlreflex zum Thema Licht? Und richtig ärgerlich war vor allem Norma Jeanes Knetstube...


Pipilotti Rists Farbstürme über Venedig

Der zweite grössere Teil dann im Arsenale Artiglierie. Empfangen wird man von einer grossräumigen Installation aus Schranktüren, mit Spiegeln u.a. und dem alten traditionellen chinesischen Holzhaus seiner Eltern von Song Dong, viel zu viel, völlig überbordend und die Arbeiten der anderen Künstler im Raum am Rand erdrückend. Leider auch die starke Filmcollage ihrer Familiengeschichte von Yto Barrada, welche gleichzeitig ein Bild Marokkos im 20.Jhdt entwirft. Erst kürzlich in der DBank-Guggenheim gesehen.
Roman Ondak bespielt einen ganzen Raum, sehr weitläufig und das genaue Gegenteil der Überfülle zuvor, mit seiner Replik der Bergbaurettungskapsel aus Chile - eine doch sehr einfache Aneignung von Tagesgeschehen... und einem Überwachungsvideo - menschen-leerer Raum ist hell, voller Raum immer dunkler... ebenso einfältig aufs Thema geschielt! Der zum "Preis der Nationalgalerie Berlin" (3 von 4 sind hier vertreten) nominierte Andro Wekua präsentiert 15 architektonische Modelle, die Erinnerungen an seine ehemalige Heimat Georgien evozieren, gleichsam auch die Geschichte der Architektur dort beschreiben. Ebenso in die Geschichte reichen die phantastisch tollen skulpturalen Collagen, Bilder im besten Sinne, Spiegel-Regale mit Pflanzen, Büchern zu "schwarzer" amerikanischer Geschichte, technische Geräte, schwarze Seife und Wachs, jeweils ein Grundriss der Arbeitszimmer Faulkners, B. Russells und DuBois' deren Denken und Pazifismus Rashid Johnson nachhaltig beeinflusst haben.


Rashid Johnson                                                                          Andro Wekua       © JL

Und auch Ida Ekblad beschwört eine (innen-)architektonische Idee, weisse Metallrohr-Skulpturen, z.T. wie Vogelkäfige.
Aber welche "Erkenntnis" sollen wir bitte aus den hunderten Party-Handy-Schnappschüssen von Birdhead ziehen? Dass die Welt überall sich gleicht, die Leute das Selbe machen? Welch umwerfende Un-Überraschung. Der "Parapavillon" (auch so ein Unsinn) der Küche von Franz West nachempfunden, beherbergt eine Unmasse von (meist unbekannten) Künstlern, innen und aussen. Daneben eine zivilisationskritische Installation von Luca Francesconi, Frauen (z.T. fragmentenarisch) zwischen Schrott, visionär zum Abstieg Europas / des Westens. Dazu in einer Vitrine ein wundersames schönes 12 Meter langes Leporello mit feinen Zeichnungen, alt-mexikanische Hieroglyphen und selbsterfundenes von M. Castillo Deball. Und zuletzt der phantasievolle Drache von Nicholas Hlobo, der auch bei Pinault und Pinchuk bestens gehyped vertreten ist.
Interessant der Einblick ins arabisch-migrantische Leben am Rande der französischen Gesellschaft zwischen Spiel Drogen Party Gewalt und Träumen von Mohamed Bourouissa per Doppel-Projektion. Und in Fabian Martis kubisch-geometrischer "Tropfsteinhöhle" flackert bei einer Fahrt die Sonne durch Palmwedel ("Illumination"!), was uns die stroboskopische "Traummaschine" von Brion Gysin (1958) nahebringen soll - eine schöne Variante zu Carsten Nicolais Version 2009 in der Schering Stiftung. Ebenso eine psychedelische Filmcollage in "Fehlfarben" gibt es von Nick Relph, schwärmerisches Neo-Hippietum, neben dem brummenden und LED-aufflackerndem "Darkroom" von Haroon Mirza die als beste Nachwuchskünstlerin ausgezeichnet wurde.
Superstark (auch ohne Disco-Psycho-Geflacker) der Film von Dani Gal - hochpolitisch wenn man an Bin Ladens Ende geradeeben denkt, eine wertungsfreie Rekonstruktion über das geheime Verstreuen der Asche Adolf Eichmanns im Mittelmeer, theatralisch in viel Nebel, um eine ortsgebundene Anlaufstelle für Ewiggestrige zu verhindern. Eine der besten Arbeiten in diesem Jahr -grossartig! Ebenso grandios das grosse Lichtbad, ein grosser Raum zum eintauchen von James Turrell - die komplette intensive Erfahrung von Licht und Farbe! Phantastisch - auch wenn die Schlange lang ist, unbedingt anstehen, die Geduld wird über Massen belohnt!
Auch im nächsten Raum bleiben wir von Discoeffekten verschont. Gerard Byrne zeigt eine schöne Fotoserie in schwarz-weiss, Natur, Wasser, Wellen, Steine, Holz, Leute beim Ausflug.
Absolut klasse auch der Raum von Shahryar Nashat mit eigenen benutzbaren Museums-Bank-Entwürfen / Repliken und einem witzigen Video seiner Aktion im musealen Raum - in der Accademia in Venedig, Heimstatt einiger Tintoretto Gemälden, auch zweier in der Ausstellung gezeigter, packt er ein extrem verklebt verpacktes Kunstwerk aus, ein grüner Block, den er vor und in Gemälde hält, auf dem er akrobatische Übungen macht. Eine "Aneignung" der besonderen, humorvollen Art - zum Nachmachen nicht empfohlen... Auf eine sehr interessante Zeitreise durch das 20. Jahrhundert schickt uns Elisabetta Benassi mittels mehrerer "microfiche-reader" die zufallsgesteuert zugreift auf eine bildlose Bildbetrachtung der allseits bekannten Ikonen der Zeit und unserer eigenen Erinnerungen nur durch die rückseitigen schriftlichen Bilderklärungen. Grandios. Urs Fischer solo im nächsten Raum spielt ebenso mit der Zeit und auch Fragen der Bildbetrachtung und Wahrnehmung von Kunst, auf äusserst ironische witzige Art. Ein "Besucher" (Rudolf Stingel) betrachtet versonnen die grosse Skulptur "Raub der Sabinerinnen" von Giovanni Bologna, alles hyperrealistisch aus Wachs geformt - und langsam herunterbrennend, schmelzend. Ryan Gander befreit eine Tänzerin aus Degas Malerei und lässt sie als realistische Skulptur ihr eigenes Double betrachten. Im Giardini-Pavillon wiederum irritiert er uns mit einer kleinen Geste, eine 25 €-Münze von 2036 klebt am Boden wie bei einem Kinderstreich.
Corinne Wasmuth präsentiert eines ihrer grossen exzessiven Stadtraumpanoramen, phantastische Malerei, psychedelisch flirrend. Dann ein Kino, Christian Marclays 24 stündige Film-Collage aus irre vielen Szenen in denen Uhren eine Rolle spielen, passgenau zur "real-time" komponiert - was ihm den Löwen des "besten Künstlers" einbringt.
Klara Liden zeigt eine Sammlung internationaler städtischer Strassen-Mülltonnen, manche Graffity bekritzelt oder zerbeult. Eine Sammlung von Strandgut-Objekten, Muscheln, Styroporblock, rostige zerknautschte Fässer und anderem wie Pfauenfedern, mit Spots im dunklen Raum illuminiert, zeigt uns Carol Bove, ein Spiegel vergangener Zeiten anhand Deko- und Sammelobjekten. Den Abschluss bestreitet Monica Bonvicini mit mehreren tribünenartigen Treppen aus Glas, Spiegel, manchmal zersplittert, Aluminium, Holz, in verschiedenen Variationen, dazu ihre gleissenden Bündel aus Neonröhren und ein wandbedeckender Theatervorhang. Die Künstlerin bezieht sich - und da schliesst sich der Kreis in der Ausstellung - dabei auf Treppen in Tintorettos Bildern, speziell und Titel gebend auf "die Vorstellung der Jungfrau / 15 Stufen zur J.". Eine wirklich sehr starke theatrale Inszenierung! Wahrlich preiswürdig!
Ein Teil der Arbeiten findet sich im Aussenraum, Giardino delle Virgini, das irre partizipatorische Camp von Gelatin mit Band, Gesprächen, gemeinschaftlichem Essen und einem Ofen in dem Glas geschmolzen wird das daraus hervortropft wie Lava. Oder die leuchtend bunte Figurengruppe, mehr oder weniger religiöse Ikonen, von Katharina Fritsch am Hafenbecken. Franz Wests rosa Knoten im Park und eine grossartige wahnwitzig rasante TV-Medien-Bilder-Collage, von Comics über Nachrichtenschnipseln zu Sport und einem roten Kussmund von Sturtevant auf 9 aufgetürmten Monitoren.
Natürlich gibt es in der Ausstellung wesentlich mehr zu sehen und zu entdecken, 80 Künstler versammelt diese, ich will nur die mir relevant erscheinenden Arbeiten hervorheben. Sehen und entdecken muss jeder selbst. Es lohnt sich in jedem Fall, auch wenn mir die diesjährige Ausgabe schwächer erscheint als frühere.


Katharina Fritsch                                                                         :Sturtevant


TOP

Auf dem Weg zum Giardini treffen wir auf der Viale Garibaldi den Performer Patrick Jambon mit einer Horde Jugendlicher die videospielend an seinen Fersen kleben. Er ist Teil eines grossen Performance-Programms in der Eröffnungswoche.


Im Giardini versammeln sich die meisten der Länderpavillons , mit in Eigenverantwortung kuratierten Einzel-und auch Gruppenausstellungen. Entsprechend "bunt", mancher sagt flach, der Querschnitt. Allerdings siedeln immer mehr Länder (insgesamt 88 in diesem Jahr) an unterschiedlichsten Orten über ganz Venedig verteilt.

Gleich zu Beginn der vielleicht interessanteste, stärkste Pavillon der Biennale, der Schweiz, bespielt von Thomas Hirschhorn mit einer wahnsinnigen oppulenten Gesamtinstallation, eine unglaubliche Materialschlacht.
Alufolien und Klebebandorgien die zu Strahlen und Sternen mutieren, Fotos - viele von Kundgebungen und Demonstrationen, Magazine, Aquarien voller Bücher, Massen von Mobiltelefonen auf Stühle geklebt, ein TV-Turm mit Bildern von Demonstrationen, TV und Computer-Monitore und Neonlampen mit Kristallen und Halbedelsteinen beklebt, überhaupt scheinen Kristalle sein (neues) grosses Thema zu sein, aus Spiegeln nachgebaute Riesenkristalle, Kristallwucherungen, stapelweise gekrashte Autoscheiben, Schaufensterpuppenparade, Autositze und Reifen in Silberfolie, Unmengen von elektronischen Haushaltsgeräten und Haushaltskram, Rollen von Teppich, Molekülmodelle aus Wattestäbchen gebaut und Transparente mit Parolen...
Eine Zivilisationskritik? Zivilisations-Müll-Kritik oder eine "Reinigung" mittels Kristallen, im esoterischen Sinn absorbieren diese ja negative Energien und Strahlungen? Eine Gesundung und Reinigung unserer verseuchten Gesellschaft durch mehr Bewusstsein was sich in Kampagnen und Demos äussert? Vielleicht eine Mischung aus Allem und eine Option auf eine bessere Zukunft mit mehr menschlichem Bewusstsein. Ein grosses Bravo!


Thomas Hirschhorn im Pavillon der Schweiz     © la Biennale Venice      Foto: Georgio Zucchiatti

Danach Venezuela mit drei Künstlern (warum müssen die kleinen Länder immer Heerscharen von Künstlern aufbieten?), toll sind die Papiergirlanden, feinst gefaltete ornamentale Bahnen über die Wände eines Raumes von Yoshi.
Eher albern die Comicversionen bekannter Menschen des 20.Jhdts von Bassin.


Im russischen Pavillon eine retrospektive Arbeit in mehreren Akten von Andrei Monastyrski über seine kollektiven Aktionen und Spaziergänge in den 70er Jahren. Boris Groys als Kurator will zeigen dass es zu jener Zeit in Russland mehr gab als Staatskunst.


Absolut begeistert war ich im Pavillon von Korea von den unterschiedlichen Arbeiten Lee Yongbaeks. Ein grandioses Spiel um Wahrnehmung und Bild, ebenso auch sehr politische Arbeiten. Man tritt ein und blickt auf grosse kitschig anmutende Blumentableaus - entdeckt nach und nach darin getarnt versteckte Soldaten, Gewehr im Anschlag... ebenso im Video, kaum merkliche Bewegungen in Zeitlupe, vom Kitsch zum Schauer. Der Monitor leider etwas beengt aufgebaut.
Im Nebenraum spiegelt man sich in Goldrahmen auf roten Wänden, schreckt aber schlagartig aus seinen Gedanken hoch - Schüsse, Spiegel splittern, man zuckt zusammen...
In einem anderen Spiegelobjekt spiegelt man sich selbst, der Kopf wandelt sich ständig fliessend von Jesus zu Buddha.
Seine metallenen vermenschlichten Roboterfiguren, mal als "Pieta" mal als kämpfendes Paar sind etwas kalauernd.


Einen ähnlich leichten spielerischen Umgang mit Politik und Ästhetik praktizieren Allora und Calzadillafür die USA. Vor dem Pavillon liegt ein Panzer auf dem Rücken, ab und zu als Trainingsobjekt umgenutzt, kettenrasselnd lärmend mit mächtigen Abgasschwaden treibt er ein Sport-Laufband an auf dem dann ein Mitglied der amerikanischen Turnerriege, z.T. Goldmedaillengewinner bei Olympiaden, trainiert - welch schöne Idee: "Panzer zu Gymnastikgeräten" und Krieg auf sportlichen Wettbewerb zurückführen. Gymnastisch turnerische Übungen praktizieren die Athleten auch auf den alten Flugzeugsesseln und Betten.
Ein sehr inspirierendes Video stellt die Fahne als Symbol des Nationalismus (weltweit) ad absurdum, zwei Bilder übereinander projeziert zeigen Landschaften, brüchige (Turn-) Hallen, jeweils mittig Stangen für Schilder und Anderes die die zwei Bilder miteinander verbinden, an denen ein Turner wie eine Fahne im Wind quersteht. Passend dazu liegt im Eingangsbereich die (verkleinerte) "bewaffnete" Freiheitsstatue vom Dach des Capitols, Schwester der New Yorker Statue, auf der Sonnenbank, das gleissend blendende UV-Licht lässt uns wegschauen... welch starke Symbolik für Desinteresse an gesellschaftlichen Vorgängen und Politik. Tolle Arbeiten, ein starker Pavillon!



USAmerikanischer Pavillon

Kunstprojekte mit politischen Intentionen findet man beispielsweise in Ägypten, Ahmed Basiouny zeigt auf einem Fries von 5 Screens Ausschnitte seiner Performances und dazwischen geschnitten, äusserst aktuell, seine Filme von den Demonstrationen um den Tahirplatz - wo er auch bei einer Demo erschossen wurde.


Hohe Brisanz, aber auch bitteren Witz hat das bereits seit mehreren Jahren laufende Projekt von Yael Bartana, mit dem Thema der Rückkehr der Juden in ihre "alte Heimat" nach Polen. Videos zeigen den Bau eines ersten Kibbuz und weitere Aktionen die damit zusammenhängen - der Beitrag der Republik Polen. Nicht wirklich aktuell, ich habs bereits zum dritten Mal gesehen.


Im Pavillon von Brasilien sehen wir eine retrospektiv zu nennende Fotodokumentation der Aktionen von Artur Barrio die er Ende der 60er-Jahre während der Militärdiktatur begann - dem Aussetzen von blutigen Bündeln, von ihm als Kreieren von "Situationen" genannt, schockierender und riskanter Protest gegen das Verschwinden von Menschen in jener Zeit. Im zweiten Raum dann eine aktuelle Installation aus Lebensmitteln, Salz, Fischen, Fleisch, Brot, Kaffee, Schrift und Diagrammen, sehr aktuell in Zeiten von Börsen-Spekulation auf Lebensmittel, Überfischung, Raubbau, Abholzung zugunsten von Monokulturen in Händen von Monopolisten mit totalitären Tendenzen...


Der französische Star Christian Boltanski bespielt Frankreichs Pavillon mit einem raumfüllenden Gerüst-Labyrinth in der, vielfach umgelenkt, ein breiter Filmstreifen mit Portraits Neugeborener routiert, so schnell dass diese kaum erkennbar sind und mit/ineinander verschmelzen, erst wenn das Bilder-Fliessband manchmal plötzlich stoppt können diese erfasst werden. Eine starke Metapher für die täglich auf uns hereinbrechende Bilderflut und unsere Chance diese zu registrieren, auszufiltern nach den für uns relevanten Bildern. Fehler, Falschinterpretationen inklusive. Womit auch die multi Bildcollage hunderter Neugeborener arbeitet, eine Nivellierung des Aussehens von Individuen.
Dazu in den Nebenräumen links und rechts ein Zahlendisplay auf der die tägliche Geburtsrate den Todesfällen gegenübergestellt wird.


Ein weiteres starkes Beispiel für den Umgang mit Medienbildern sind die Arbeiten von Angel Vergara im belgischen Pavillon, kuratiert von Luc Tuymans. Was zunächst wie abstraktes Farbgekleksel aussieht erweist sich in den 7 Screens im Hauptsaal als sehr intelligenter Ansatz zu Malerei und Zeichnung. Dort laufen verschiedene Nachrichtenprogramme und Dokus von denen der Künstler mit Pinsel auf der vorgebauten Glasplatte versucht Silhouetten der Figuren nachmalend einzufangen. Solche Glasplatten sind im Nachbarsaal zu sehen, der Versuch den schnellebigen flüchtigen Bildern zu folgen. Angel liess sich dabei von den 7 Todsünden inspirieren.


Im finnischen Pavillon geht es bei Vesa-Pekka Rannikko ebenfalls um Bildaneignung und Neuinterpretation. Zwei sich überschneidende Videoprojektionen zeigen den Künstler in einer Ateliersituation bei der Arbeit, sitzen betrachten, ein vorhandenes Bild übermalen und in schwarz-weiss neu nachmalen usw. Bei den Bildern geht es um anonyme Flohmarktfunde, Amateurmalerei, die er sich durch seine Aktion aneignet.


Wirklich interessant wird es wieder bei Sigalit Landau im Pavillon von Israel. Man findet eine Pumpstation, Rohrsysteme die in einer offenen Grube verschwinden, Anzeigen, Entsalzung usw. vor. Wasser - der Zugang dazu und dessen Verteilung ist ein grosses Problem und Politikum nicht nur im Nahen Osten. Weltweit werden künftig Kriege darum geführt werden. Passend dazu wie in einem Video junge Männer im Sand mit Messern das "Grenzen-ziehen"-Spiel vorführen. Auf der Balustrade hängt ein Fischernetz - dick mit Salz überkrustet wie ein Mantel. Dazu ein Video wie "Salzschuhe" Schnee und Eis zum Schmelzen bringen,sehr sehr langsam. Am runden Konferenztisch zeigen Monitore im Kreis Gespräche, Diskussion um eine Brücke aus Salz zwischen Israel und Jordanien.. und wie ein Mädchen unterm Tisch die Schnürsenkel aller Teilnehmer verknotet... die Schuhe stehen draussen im Kreis, verknotet.
Etwas enttäuscht bin ich schon...


Auch bei Ayse Erkmen ist Wasser und dessen Knappheit das Thema, mehr im Zusammenhang mit Krisengebieten, und appelliert an unser Gewissen. Sie lässt eine Wasseraufbereitungsanlage installieren, Lagunenwasser wird zu Trinkwasser. Der ästhetische Reiz liegt in der 3-D-Zeichnung die das mehrfarbige Rohrsystem abgibt.
Allerdings ausgerechnet von dem Konzern - Veolia - mit dem halb Europas Städte Probleme haben wegen der vorherigen Privatisierung des Gemeinguts Wasser das sie nun teuer zurückkaufen müssen. Freiwillige Werbung und wenig Fingerspitzengefühl!


Retrospektiv muss man auch nennen was im deutschen Pavillon über / zu Christof Schlingensief eingerichtet wurde. Immerhin - und unverständlich - mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet, was dem Jurymitglied und Filmemacher John Waters geschuldet sein dürfte. Schon die Nominierung des Theater-und Filmmenschen und genialen Selbstdarstellers war umstritten ("gibts keine bildenden Künstler mehr?" seit 4 Jahren) aber mutig diesen Grenzgänger zwischen den Genres einzuladen. Nach seinem Tod sollte und konnte sein nur angedachtes Projekt "Wellness-Pavillon" - ein hochbrisantes Thema das er angehen wollte, angesichts der 2-Klassen-Medizin in D., mit partizipierenden Besuchern nicht fortgeführt werden.
So entstand im Hauptsaal die Replik der Bühne der "Kirche der Angst vor dem Fremden in mir", 2008 für die Ruhrtriennale geschaffen - ohne die aktive Präsenz des Performers etwas blutleer, und leider auch arg sakral, heiligsprechend, pathetisch. Es riecht verdammt nach Heldenverehrung. Seine Stimme spricht zu uns, thematisiert und beklagt sein Kranksein appelliert an Schaffenskraft und Aufbruch und Wiederstand, und wir können ihn auf mehreren schwarz-weiss Filmprojektionen ringsum sehen bei unterschiedlichsten Aktionen und Projekten. Die "Kirche" ist sehr dicht und komplex eingerichtet. So gesehen eine runde geschlossene kuratorische Arbeit. Aber trotzdem - was viele kritisieren - ein Mausoleum! Das hat der lebensfreudige und bis zuletzt aktive Macher nicht verdient.
In den Seitenflügeln zum Einen eine Dokumentation zum Operdorf in Burkina Faso, im Anderen eine Retrospektive seiner Filme, was diese Ausschnitte seines Schaffen abrundet.


Im spanischen Pavillon veranstaltet Dora Garcia ein über die gesamte Biennale-Laufzeit stattfindendes Performance-Programm mit über 60 Teilnehmern.


Ausserhalb des Giardini am Ende des Rio Tera Garibaldi, wieder am Kanal, eine grosse Überraschung - der Pavillon des Irak mit 6 Künstlern - alle im westlichen Exil lebend, alle zum Thema Wasser, davon 3 mit absolut starken Video-Arbeiten. Allen voran, eine der allerstärksten Werke des Biennale-Jahrgangs, die "Nations Laundry" von Al-Karim - unter einem sitzendem nackten Wasch-Mädchen mit gespreizten Beinen das Video in dem aus der Waschschüssel die verschiedensten Flaggen aufblitzen, reingewaschen... ästhetisch, hochpolitisch zeitlos treffend und mit erschütterndem Witz.
Sehr gut auch das Video "Narciss" (der Figur Caravaggios) von Ali Assaf, jener kniet sich spiegeln wollend am Ufer, was ihm nicht gelingt, zwischen allerlei Müll und Kram treiben auch Fotografien aus der Vergangenheit vorbei. Auch seine zweite Arbeit beschäftigt sich mit Erinnerung, ein Raum ausgestattet mit Fotografien seiner Familie und dem alten Basra, mit Öl und Teertränen überzogen, sollen sie personenbezogen den Wandel Basras verdeutlichen und die damit einhergehende Zerstörung der Ökologie, die Kontaminierung der Erde und des Wassers durch Öl, Salz, Plastikmüll und zuletzt durch uraniumhaltige Munitionsreste. Böse das Video mit Bildern ölverschmierter Tiere, Wasservögel und den hellen fröhlichen Kinderstimmen mit Sprachuntericht auf Englisch. Als er nach 36 Jahren zurück kehrte war er entsetzt über den Zustand der Region in der nichts seinen Erinnerungen ähnelte.
Adel Adibin inszeniert die politisch gewollte Zerstörung im Rahmen eines allerwelts Büros in dem sich allerdings zwei westliche Anzugsträger Star-Wars mässig mit den leuchtenden Neonröhren duellieren, bis zum letzten Flackern und Lampenbruch. Ökonomisch korrekt beobachtet, mit sehr viel Humor im Blick auf den Zustand des Landes und dem was davon bleibt. Auch die anderen Künstler sind interessant. Bravo - superstark!


Nebenan der erste Pavillon von Bangla Desh - auch hier gute Werke unterschiedlicher Künstler, ein Himmel voller Regenbogen-Regenschirmen von Masum Chisty und ein BH aus Rasierklingen von T. Beguna Lipi beispielsweise.


Ein Haus weiter eine grossartige "Verschnürung" eines Art Antiquariats von Chiahru Shioto.

Und eine Installation italienischer Anti-Atom-Aktivisten!


Gegenüber der phantastisch gute Pavillon von Wales mit Arbeiten von Tim Davies. Eine Reihe von vier Räumen mit Videoprojektionen, absurde Marschbewegungen und Wachposten des Militärs, in eigenwilligem Blick und Schnitt mit der Umgebung gemischt. Unterbrochen von einer tollen Serie Postkarten- und Foto-Übermalungen bei denen nur die Brücken (passend zu Venedig) sozusagen in der leeren, nicht mehr vorhandenen Landschaften stehen bleiben, folgen zwei weitere Videoräume. Beide mit Blicke auf Venedig - Spiegelungen der Palazzi auf den Kanälen, denen er sanft mit der Hand über dem Wasser schwebend folgt und manchmal berührend zerrinnen lässt. Und das geheimnisvolle Lichtspiel beim Besteigen des Campanile Santa Maria del Frari. Zum Glück arbeitet er sehr präzise und gestaltet keine ermüdenden endlosen Epen, sondern rasch zu erfassende poetische Situationen, denen man umso lieber zusieht, auch im dritten Loop.


Auf dem Arsenalegelände siedeln ebenfalls einige Länderpavillons, so auch Indien, ebenfalls eine Überraschung. Neben dem Desire Machine Collective die videonal schöne Bilder des (industriellen) Verfalls, überwucherte Anlagen und die strukturelle Schönheit und Patina des Rosts und der abblätternden Farbe zeigen, ist vor allem der "Aufzug" von Gigi Scaria ein grossartiges Werk, vom Feinsten, ästhetisch wie inhaltlich und technisch. Äusserlich unscheinbar, man drückt den Knopf, wartet, steigt ein und fährt soweit man will, von der Tiefgarage durch alle soziologischen Topografien und Schichten hält der "Aufzug" in verschiedensten Wohnsituationen und Einrichtungsstilen. Einfach wundervoll.


Daneben VAE / Saudi Arabien / Argentinien/ Chile und China, und der Lateinamerika Pavillon kuratiert von Alfons Hug, lange Jahre schon in Brasilien und der Region.





Singapur hat sich im Diözesan Museum hinter San Marco angesiedelt und zeigt einen schönen träumerischen Film von Ho Tzu Nyen. dessen Protagonist träumt und wandelt zwischen ärmlichen Wohnräumen und öffentlichen Bädern, Erinnerungen und surrealen Szenerien mit viel Dampf und Rauch, blendenden Lichtern, diffusen Bildern.


In der Basilika di San Giorgio installiert Anish Kapoor im Rund des zentralen Kuppelbereichs, einem kreuzartigen Grundriss, eine Säule aus Rauch, die sich wirbelnd und schwankend nach oben streckt und abgesaugt wird. Ein Projekt das schon in Rio de Janeiro, Sao Paulo, Beijing und San Gimignao gezeigt wurde.



Auf einem Stadtrundgang durch die Viertel Cannareggio und San Marco trifft man auf viele Länderpavillons und kollaterale Ausstellungen, oft in prachtvollen Palazzi. Man entdeckt die unglaublich schöne romantische Stadt neu, barocke und Rennaissance-Architektur und Kunst und ebenso tolle zeitgenössische Kunst.

In der Chiesa di San Lio, der Hauskirche von Tizian, finden wir eines der besten Werke der Biennale, technisch äusserst anspruchsvoll - eine Filmadaption ausgehend vom Rennaissancegemälde "Aufstieg zum Kalvarienberg" von Pieter Breughel d.Ä. - wieder ins Leben gerufen und in Bewegung versetzt von Lech Majewski, dem grossartigen Filmemacher der z.B. Produktion und Buch für Schnabels "Basquiat" verantwortete, auf allen Filmfestivals vertreten. Drei Jahre hat dieser an den Filmszenen, Montage und Animation gearbeitet, mit neuster Technik - um diese umwerfend beeindruckende Arbeit zu bewerkstelligen. Das Gemälde wird in die vierte Dimension versetzt, die Geschichte im Bild, aber auch die dahinter stehende, wird in einen Ablauf gebracht. Hochspannend und absolut phantastisch!


Neben Georgien befindet sich auch der Pavillon von Schottland in Palazzo Pisani. Dort belegt Karla Black eine Etage mit ihren raumgreifenden skulpturalen Installationen, lieblich duftend in pastellenen Farben erinnern diese an Landschaften, Berge, Wolken und irdische Türme, manchmal an Tortenstücke. Ihre Materialien sind Unmengen von Schminkpuder die Zellophanbahnen und Knäuel, Zuckerpapier oder Polystyrolformen überpudern, gehäuft und geschichtet zu Blöcken geformt, oder sie bildet kubische Formen aus Seifen die auf erdigen Flächen stehen. Ich mochte die ebenfalls mit Schminkpigmenten bearbeiteten duftenden Papierausrisse, zu schwebenden Landschaftssilhouetten arrangiert, sehr.
Die Party zur Eröffnung dann auf dem Campo di Rialto, in allen Bars Musik, Gespräche Treffen mit vielen Bekannten, Tanz und Getränken. Sehr angenehm.


Azerbeijan im Palazzo Benzon, 6 Künstler, Malerei Objekte Skulptur Video, mit Skandal - der Präsident liess nach seinem Besuch Werke von Aidan Salakhova entfernen weil sie gegen den Islam verstiessen und das Ansehen des Landes beschädigten... harmlose Werke mit Tendenz zum Kitsch, was Zensur allerdings auch nicht rechtfertigt. Im ganzen Palazzo waren eh schon all den süssen nackten Stuckputten die Penisse überklebt!
Zeigam Azizov zeigt eine Videodokumentation zur Migration von Arbeitern der Ölindustrie. Die wahrlich fantastischen Arbeiten stammen von Aga Ousseinov, surreale alte Rohrkonstruktionen gepaart mit High Tech Mini-Screens oder 3-D Okkularen die aber in der Regel unbenutzbar bleiben weil sie durch die Konstruktion so verbaut sind dass man beim besten Willen keinen Blick durch sie werfen kann, nur seitlich kann man Filmausschnitte von Sergej Eisenstein u.ä. betrachten.


Eine der besten Präsentationen und Arbeiten erwartet uns im portugiesischen Pavillon, am Canale Grande. Uns wunderbar verzaubernd mit seinen geheimnisvollen stillen Lichtspiel-Zaubereien - einfach im Aufbau und umwerfend in der Wirkung - überrascht Francisco Tropa. Projektionen per Diawerfer, anstelle der Bilder Dinge des Alltags die en detail, losgelöst von der starren Nutzbestimmung im begrenzenden Bildrund ihre eigene Magie entwickeln, auch ewig langsam tropfendes Wasser zeichnet dadurch ein anderes Bild. Alles ist anders als es (er-)scheint.
Und danach kann man auf der Terrasse im Canale Grande dem geschäftigen Treiben des venezianischen Highways zusehen.


Francisco Tropa im portugiesischen Pavillon


Eine Biegung weiter befindet sich der Palazzo Grassi, grossartiges Privatmuseum des Grossammlers Pinault. Hier wird geklotzt - im wasserseitigen Eingang steht ein "Balloon Pudel" von Jeff Koons und zwei vonThomas Schüttes "Grosse Geister". Dazu im Atrium eine sich über 3 Etagen erstreckende surreale Figur von Joana Vasconcelos ein Pattern aus buntesten Stoffen, Gestricktem und Applikationen verschiedenster Art, sehr oppulent und barock. "the world belongs to you" sugeriert eine globale Weitläufigkeit, wie es doch nur für die gehobene Oberschicht zutrifft. Will er sich über die Normalsterblichen lustig machen? Pfui! Die Künstlerauswahl ist allerdings tatsächlich global - die Werke "belongs private" und die Party ist auch nur für Wichtigtuer mit dickem Portemonait und ein paar Künstler als Hofclowns - ganz wie früher, als hätte es Liberalismus und 68er Intelligenzia-Aufbruch nie gegeben.
Es gibt grossartige Stücke zu sehen, und manches das unscheinbar danebensteht. Und im Gegensatz zur Punta della Dogana, dem zweiten Spielort der Sammlung der nur grosse Namen versammelt ist hier auch nicht ganz so bekanntes, gesehenes zu entdecken. Begeisternd erschüttert hat mich die Wandinstallation der Worte "life is beautiful", aus Hunderten von Messern gesteckt von Farhad Moshiri aus dem Iran! Oder Ger van Elks hängende Mauer, in kopfhöhe mittig über dem mit Tassen gedeckten Tisch. Begeistert auch von im dunklen Mond-in-kahlen-schwarzen-Bäumen-hängendem Raum von Loris Greaud, von Sigmar Polkes abstrakter Malerei, ebenso wie von Rudolf Stingels goldiger reliefartiger Teppich-Malerei. El Anatsui bastelt seine Teppiche aus bunten Flaschendeckeln, daneben mehrere humorvolle Materialcollagen von David Hammons, "flies in a jar" Reissverschlussdetails sitzen auf Stöckchen im Einmachglas, Zigaretten im Drahtgewirr. Sehr humorvoll auch Maurizio Cattelans wunderbarer Umgang mit Schizophrenität - "we" - er selbst liegt gleich zweimal im selben Bett. Spassfaktor besitzen Raimond Pettibons Comiczeichnungen und Urs Fischers surreal zerlaufende Möbelstücke.
Von Alighieri Boetti gibt es eine gestickte Flaggen-Weltkarte und eine sich selbst begiessende Männerfigur. Auch der allgegenwärtig in der Biennale auftauchende Nicholas Hlobo ist mit einer liegenden abstrahierten Figur vertreten. Yuang Yong Ping baut raumfüllend einen extrem realen Felsen mit innenliegender Mönchsgrotte mit Buddha und Taliban, die Kontemplation darf natürlich nicht fehlen, wird aber zur Provokation. Wirklich eindringlich der alle Sinne ansprechende Raum von Guiseppe Penone mit duftenden Wänden aus Teeblättern, von Maschendraht gehalten und einer angedeuteten rostigen Figur im Blättermantel und goldblättrigen Lungen und Atemwegen.
Francesco Vezzoli hat ein starkes Kino mit zwei Räumen installiert, zwei Filme, einen Fake Film Trailer zur wahren Geschichte Hollywoods ausgehend von Maximilian Schells "Marlene Dietrich" Portrait und einen Schnipselfilm mit Interviews, Werbung, Propaganda eines fiktiven Präsidenten. Das wundervoll stille leichte Diashow-Video von David Clearbout - Jungs auf Algeriens Dächern schauen dem kunstvollen Möwenflug zu - rundet die Filmsektion ab, allerdings schon mehrmals gesehen, aber immernoch mitreissend!


Im Palazzo Grassi - Sammlung Pinault - Loris Greaud - Maurizio Cattelan - Francesco Vezzoli


Gleich nebenan die etwas schwachen Pavillons von Andorra das zum ersten Mal teilnimmt in der Kirche San Samuele, im Palazzo Malipiero der Iran, Zypern und Zentralasien.


Ausserdem eine phantastisch gute, äusserst trickreiche Installation von Glaser und Kunz, die sie "Cinematographische Skulpturen" nennen. Verwirrend echt erscheinende sorgfältig gestaltete Schaufensterpuppen und Ort auf deren Gesichter exakt eingefügt die Bilder sprechender Menschen projiziert werden. "Obdachlose" sitzen auf dem Boden und unterhalten sich, erzählen und philosophieren von ihren Träumen und Ängsten, Hoffnungen und Wünschen.


Um die Ecke dann Montenegro mit der "Fridge Factory", ein von Marina Abramovic unterstütztes Kulturzentrum und KünstlerProjekt mit den Künstlern Natalija Vujosevic die ein schönes stilles Video von wogenden Wiesen zeigt, und Ilija Soskics Videoportrait eines alten Mannes im Alltag, Apfel schälen zum Endlosband.


In der ersten Etage dann die grossartige Raumfolge von Liina Siib im Pavillon von Estland. Berufsspezifische Frauenportraits per Fotografie, von der Bäckerin bis zur Hure, in der Regel am Arbeitsplatz, in mitten einer privat gestalteten Wohnung, mit Handarbeiten, Kinderzeichnungen, allerlei privatem und Videos. Sie verknüpft das Arbeiten in engen Räumen mit der Tatsache der geringen Bezahlung von Frauen.


Ein Stück weiter Richtung San Marco im Ca del Duca der Pavillon von Luxemburg, auch hier eine wunderbare surreale leicht labyrinthische Raumfolge in weiss von Martine Feipel und Jean Bechameil. Verengte Gänge mit gewellten Wänden, perspektivische Verzerrungen und Spiegelungen, Umkehrungen, an manchen Stellen an Dali erinnernd.

An der Piazza San Marco findet man das Museum Correr mit einer kleinen retrospektiven Ausstellung von Julian Schnabel. Malerei aus den 80er Jahren, auch seine berühmten Scherben-Portraits sind darunter, bis zu den heutigen neuen Fotoprintübermalungen, verblasste 50er Jahre Safari-und Hafen-Touristenfotos mit abstrakten Spuren und Textfragmenten. Gute Promotionarbeit von Gagosian mit Unterstützung von Maybach, eine Revitalisierung der Marke Schnabel.


Schräg über den Platz, eine Präsentation der Galerie B. Schenk von Fotografien aus der weltberühmten Serie "Menschen des 20.Jhts" von August Sander in Gegenüberstellung zu Michael Somoroff, der aus den Bildern sorgsam die Personen entfernt, was zuerst irritiert, denn man erinnert sich schwach an die Szenen, Hintergründe, sich aber spätestens beim Betrachten der wiederum daraus weiter entwickelten Videos, in denen leichte Bewegungen eines Vorhangs oder im Blattwerk das alte Bild vom Beginn des 20.Jhdts beleben, lebendig und aktuell erscheinen lassen, sich als geradezu grandios erweist und verblüfft.



Ein Rundgang durch San Polo und Dorsoduro.
Beginnend in dem privat bewohnten Palazzo Papadopoli, diesmal nicht die Ukraine beherbergend sondern, ebenso vom reichsten Mann der Ukraine initiierte Pinchuk-Stiftung finanziert, der Future Generation Art Prize, ein offener weltweiter Wettbewerb mit prominenter Jury, von Eckhard Schneider bis Okwui Enwezor und Daniel Birnbaum, u.a.
Preisträgerin (~70000€) wurde die Brasilianerin Cynthia Marcelle mit ihren Videos absurder Aktionen, distanziert betrachtet aus der Vogelperspektive. Ein Bagger fährt endlos ein Unendlichzeichen und hinterlässt dies als Spur. Eine geometrische Kreuzung, aus jeder Richtung kommen nach und nach je 4 Musiker verschiedener Instrumentengattungen in jeweils selber Farbe, zuletzt stehen sie sich gegenüber und mischen sich dann. Eine phantastische Entdeckung und würdige Gewinnerin in einem stark besetzten Feld von 20 Positionen.
Sehr viel Video, einer der irre starken Knetfiguren-Sex und Gewalt-Geschichten von Nathalie Djurberg, 2009 "beste Nachwuchskünstlerin der Biennale. Äusserst ironisch das Politiker-Interview mit eingeschobenen Comicelementen von Fikret Atay, Keren Cytter erzählt eine jüdische Familiengeschichte, an einem Hotel aufgehangen, und Ziad Antar anhand der Kartoffelernte im Libanon von globalen Wirtschaftszusammenhängen, eher dokumentarisch.
Installationen sind ein weiterer Schwerpunkt. Schon bei der Ankunft im Garten stolpert man in die Gruben von Katerina Seda mit der Aufforderung Platz zu nehmen um von der nahen Bar gastronomischen Service zu erhalten. Im grossen Saal ein raumfüllender Schiffsrohbau von Hektor Zamora, Cao Fei, für ihre "second world Welten" bekannt, baut einen fiktiven Plastikgarten und Wohnraum, und Nicholas Hlobo zeigt ein amöbisches Objekt, vernäht aus Leder und anderen Stoffen. Nico Vascellari fasziniert mit einer mehrteiligen Dia-Lichtinstallation, seine nach 50er Jahre aussehenden abstrakten farbigen Collagen abfotografiert und projeziert, wunderschön. Jorinde Voigt zeigt ihre Riesendiagramme. Malerei und Skulpturen sind auch dabei.


Im Casa Rezzonico, dem Museum für Kunst des 18Jhdt. mit Fresken von Tiepolo u.a., sind Skulpturen von Barry X Ball in die Sammlung integriert. Er fertigt hochtechnisiert per 3D Scans Kopien berühmter Marmorskulpturen in anderen Materialien wie Onyx oder gelbem Calcit an, unter anderem den "liegenden Hermaphrodit" aus dem Louvre. Ein prachtvoller barocker Palazzo den es sich zu besuchen lohnt.


Von da geht man den Rio San Bernaba entlang und gelangt zum prächtigen Palazzo Zenobio mit seinem grossen Garten. Wie in jedem Jahr ist hier der New Forest angesiedelt. Ausserdem der Pavillon von Armenien, eine Präsentation von "Rohkunstbau"

Und der starke, hochinteressante Pavillon von Island mit dem vorab produzierten Performance-Video nach dem Konzept von Libia Castro und Olafur Olafsson. Eine Gondel fährt durch Venedigs Kanäle, eine Frau singt, begleitet von einer Trompete und Gitarre Texte und Verlautbarungen des Künstlerpaares "your country doesn't exist" in verschiedenen Sprachen. Ein guter Beitrag zur Debatte über Nationen und Nationalismus in Zeiten der Globalisierung auf sehr poetische Art. Die Gondelfahrt wurde am 2. 6. wiederholt.


Einen weiteren starken Pavillon - von Neuseeland - findet man im Palazzo Loredan del Ambasciadore. Im riesigen Portico und lauschigen Garten 2 matt-schwarzbemalte tonnenschwere Bronzen, Abformungen eines Stieres auf Flügeln in Originalgrösse, ein kleiner Olivenbaum aus Bronze und ein Wachmann, dazwischen ein Steinway-Flügel - über und über mit ornamentalem traditionellen Maori Schnitzwerk und Schildpattperlen bedeckt, in leuchtendem Rot lackiert - und während der gesamten Laufzeit der Biennale konzertant bespielt mit klassischer Musik. Die Assoziation zu Jane Campions "Piano" drängt sich auf - und tatsächlich wurde dieser Flügel zu Beginn des 20.Jhdt. von einer Konzertpianistin nach Neuseeland importiert. Michael Parekowhai betreibt hier als Maori Nachfahre eine kulturelle Interaktion zum weissen Neuseeland, kulturelle Aneignung und ebenso Umdeutung. Der Titel "on first looking into Chapman's Homer" (-Übersetzung) zeugt vom Selben, wie die eingravierte Inschrift (auf Maori) "story of a New Zeeland river" die sich auf Jane Mander bezieht, auch dass ein Teil der Pianisten ebenfalls Maori-Neuseeländer sind. Diese Vielschichtigkeit macht die Arbeit so stark.


Michael Parekowhai - Pavillon Neuseeland - © artist / Foto: Michael Hall


Venice in Venice ein paar Palazzi weiter - Palazzo Contarini dagli Scrigni - privat bewohnt, die Familie lebt inmitten der alten Pracht, traumhaft!


Venice in Venice - Robert Irwin     © Ferrando+Colonna


Venice in Venice - Kienholz - Herms - Bell      © T. Mueller / 2x Ferrando+Colonna

Erstaunlicherweise stehen die minimalistischen und konstruktivistischen Kunstwerke sehr harmonisch neben und inmitten Barockem und den etwas verlebten Möbeln, blindfleckigen Spiegeln die selbst wie beste Malerei wirken, oppulentem Stuck und Skulpturen. Sehr feinsinnig kuratiert wurde die Ausstellung von Tim Nye und Jaqueline Miro mit Arbeiten von Peter Alexander, Larry Bell John Mccracken, Kienholz bis zu James Turell, letzterer mit einer rot aufscheinenden Licht-Pyramide, very tricky wie immer, neben weiteren Lichtinstallationen von Ron Cooper und Laddy John Dill Selbst die schrottigen Assemblagen von Bruce Conners passten ganz natürlich in das vorhandene Interieur. Eine Skulptur von Ken Price steht wie selbstverständlich neben einer klassischen Büste, und Robert Irwins fast an OpArt erinnernde Arbeit dominiert das Foyer. Andy Warhols "Silver Clouds" schaukelten zur Party im lauen venezianischen Himmel...

Diese Präsentation dient eigentlich dem Zweck für das riesige Kunstprojekt Pacific Standart Time ab Herbst 2011 in der Grossregion Los Angeles zu werben. Über 60 Institutionen und Museen arbeiten am Mythos und der Realität des völlig unterbewerteten Kunststandortes Südkalifornien zusammen und zeigen wie viele (bekannte) Künstler in dieser Region leben und arbeiten. Initiiert wurde das Ganze von der Getty Stiftung und dem Getty Research Institut. Schade dass sich das Projekt auf die Zeit von 1945 bis 1980 beschränkt, denn auch heute ist LA und die gesamte Region äusserst spannend.
Die Hauptausstellung des Getty Museums wird ab 14. März auch im Berliner Gropiusbau zu sehen sein.

Die vermutlich beste Party gab es ebenfalls hier - mit einem Life-Auftritt von Courtney Love zu dem zusätzlich allerhand Prominenz eintraf. Zuvor gab es ein Streichkonzert mit Sounds aus Fellini Filmen.
Tags darauf noch ein weiteres Projekt, öffentlich auf dem Campo San Polo, etwas albern, Spuren malen per Scateboard, lustig jedenfalls (die Farbe bremst enorm!) und super Stimmung durch eine klasse Coverband mit Rock-Beat-Soulmusik die das Publikum zum Tanzen brachte.


Venice in Venice - Kuratoren und Courtney Love's Auftritt      © JL / Ferrando+Colonna


Ein Stück weiter befindet sich die Peggy Guggenheim Collection. Momentan wird ein Ausschnitt aus der Sammlung der grossen Galeristin der Popart Ilena Sonnabend gezeigt, mit allem was Rang und Namen hat.


Fast nebenan in einem Hof die grandiose begehbare Skulptur-Installation der Brüder Mike und Doug Starn. Ein transparenter Turmbau mit Spiraltreppe und Aussichtsplattform über den Dächern und der Stadt, gebaut aus Bambus.


Quer über die Insel zum Fondamenta Zattere, zuerst die digitalen Installationen von Pia Myrvold, sehr abgedrehte psychedelische am Computer entworfene Video-Wände und Tunnel. Sehr digitale Bilder allerdings, gepaart mit einem grossen Performanceprogramm über die Vorbesichtigungstage.


Und nun zu den Magazzini del Sale die gleich zwei gute Ausstellungen beherbergen - den Pavillon der Catelanen mit einer äusserst sensiblen Videobeobachtung in Venedig in den touristenfreien Herbst-Wintertagen, ein besonderer feiner Blick auf die Stadt und das alltägliche Geschehen, Passanten, Fenster, Nebensächlichkeiten und Details von Fassaden und Szenen von Mabel Palacin. Wunderbar unaufgeregte poetische Szenerien. Auch die Präsentation, einerseits das gesamte Video, andererseits auch dieses fragmentiert in Details und dazu einige Filmstills, sehr stringent und durchdacht.


Nebenan eine Gruppenausstellung mit 21 sehr interessanten zeitgenössischen Künstlern aus der arabischen Welt unter dem hoffnungsfrohen Titel Future of a Promise die sich zum Teil sehr ausgeprägt und exakt politisch äussern, aktuell wie Mounir Fatmi der die Flaggen arabischer Staaten (A. Liga) nebeneinander hängen lässt und mit Besen kombiniert! Ausfegen! ...was ja gerade in der arabischen Welt stattfindet. Passend zum Thema auch Kader Attias "endlose Säule" aus Megaphonen. Für mich persönlich am eindringlichsten und erschütterndsten die klassischen Immobilienanzeigen, Text und Foto, die Taysir Batniji (Gaza) aus seiner Heimat zeigt - mehr oder weniger zerbombte Häuser...
Ebenso treffend das Video von Jananne Al-Ani, Blicke vom Himmel (Satellit / Flugzeug / Drohne?) auf menschengemachte architektonische Strukturen, Häuser, Anwesen und Ausgrabungsstätten, menschenleer, im Zoom zur Erde - die erwartete Bombenexplosion bleibt aus, ein Filmcut zuvor. Diese Arbeit hat einen direkten Bezug zu Omer Fast in der "Illuminations"-Ausstellung - der Horror der dort personifiziert festgemacht wird bleibt hier der pure anonyme Schrecken.
Auch das runde Gepäcklaufband von Emily Jakir erzählt anonyme Geschichten von Freiheit und Restriktion, im Westen wie in der arabischen Region. Die Arbeit von Manal Al-Dowayan erzählt die selbe Geschichte wiederum persönlicher, und poetischer, 200 Möwen schweben über unseren Köpfen und jede trägt aufgedruckt ein persönliches Dokument zur Bewegungserlaubnis im öffentlichen Raum, wie sie jede saudische Frau in ihrer Heimat benötigt! Von der Sehnsucht nach Freiheit sprechen auch die Malereien von Maschendrahtzäunen, zum Teil zerlöchert, von Driss Ouadahi.
Poetischer die Stoffe mit Blumenmuster und arabischen Schriftzeichen - Liebesbotschaften per SMS - von Ayman Baalbaki oder auf einer Wäscheleine hängende Porzellanabdrücke von Tüchern von Nadia Kaabi Linke, und auch das Video von Yto Barrada über einen Zauberer in ihrer Heimat Marokko. Eine der stärksten Ausstellungen. Schade dass Mona Hatoum doch nicht teilnahm.


Mounir Fatami © Artist + Gal. Hussenot      Al-Dowayan © Artist + Cuadro Fine Art      Al-Ani © Artist / Foto: Adrian Warren


Wer es dagegen lieber sehr kitschig liebt in der Kunst (kann man da überhaupt noch von Kunst reden?) schaut sich gleich um die Ecke im Palazzo Mangilli-Valmarana, gleich neben San Salute, den Wahn von Future Pass an. Etwa 100 "Künstler" überwiegend aus China und Ostasien. Quietschbunt und garantiert sinnfei.


Über unflexible Leute der Vedova Foundation und deren Ausstellung - wer wars nochmal, egal - lasse ich mich hier nicht aus.

















Ich dachte ich hätte schon alle Gipfel der ästhetischen Scheusslichkeiten erlebt und nichts könnte mich noch schocken... Unglaublich, aber was sich im italienischen Pavillon unter-und übereinander türmt, übergangslos, kann man in seinen schlimmsten Alpträumen nicht erleben!
Armes Italien - das hast du und deine Kunstszene nun wirklich nicht verdient. Oder hat man euch allen mit zuviel berlusconieskem Tutti-Frutti das Hirn und die Sinne verklebt? Hat es geklappt euch ins Hirn zu scheissen?! Denn, wie der unsägliche B.-Adjudant für "Kunst"(??)-Fragen behauptet, ist alles Gezeigte von Italiens "Intelligenzia" benannt und ausgewählt worden...


Italien und berluskonesque Scheusslichkeiten - Pornostars und Rattanburg



TOP
zurück auf Start


© Laura Valor + Thomas Mayo - "Melting Point"


Robert Bartas HulaHoop tanzender Kaktus









Based in Berlin : David Adamo             Kalin Lindena im Autocenter BiB








Venedig - Kunst um jeder Ecke


Maurizio Cattelans Taubenschwärme


Jack Goldstein - "Jump"        © Gal. Buchholz + J.Goldstein-Estate


Gabriel Kuri


Sigmar Polke - "Polizeischwein"     darüber Cattelans Tauben


Nicholas Hlobo - Limundulu Vampire Bird


Urs Fischer


Monica Bonvicini      © Artist + Gal. Hetzler- Photo: Jan Ralske


Gelatins Camp        © JL


Patrick Jambon bei seiner Performance




Yoshi im Pavillon von Venezuela


Lee Yongbaek für Korea - "Angel Soldiers"    © Artist


Lee Yongbaek für Korea - "Broken Mirrors"    © Artist


Christian Boltanski im französischen Pavillon


Sigalit Landau im israelischen Pavillon


Ali Assaf - "Narciss" - Irak-Pavillon    © Artist + Changing Role


Al Karim - "Nations Laundry" - Irak-Pavillon   © Artist


Bangla Desh - Tageba Beguna Lipi    -    Masum Chisty


Tim Davies - Wales    © Tim Davies


Anish Kapoor    © Artist + Photo: Oak Tyler-Smith


Breughel d.Ä. - Aufstieg zum Kalvarienberg     Kunsthistorisches Museum Wien


Azerbeijan im Palazzo Benzon - Aga Ousseinov


























Kuratoren vor Joana Vasconcelos© JL


Farhad Moshiri im Palazzo Grassi






Glaser und Kunz



Feipel + Bechameil - Luxembourg Pavillon © JL








Cinthia Marcelle - Gewinnerin des Future Generation Art Prize     © Box4 / Galeria Vermelho / Sprovieri Gallery


Nico Vascellari     © Author + PinchukArtCentre / Photo: Sergey Illin


Libera Castro und Olafur Olafsson lassen gondeln © Artists





Venice in Venice - Ken Price im Salon


Venice in Venice - James Turell      © Ferrando + Colonna


Venice in Venice - Tony Berlant      © T. Mueller




der Bambusturm der Gebrüder Starn     © JL


Taysir Batniji     © Sfeir-Semler


Emily Jacir     © A. Reynolds Galerie + Alexander und Bonin